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Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben ein neuartiges und kostengünstiges Verfahren zur Herstellung von Röntgenlinsen mit Nanometer kleinen Merkmalen und exzellenten Fokussiermöglichkeiten erfunden. Durch den Einsatz dieser fortschrittlichen 3D-Drucktechnik kann eine Linse in weniger als einer Minute hergestellt werden. Die Forscher verwenden dazu ein Polymer mit extrem günstigen röntgenoptischen Eigenschaften, wodurch die Kosten für Prototypen und die anschließende Fertigung stark gesenkt werden können. Die Massenfertigung solcher Linsen und ihr ertragreiches Herstellungsverfahren wird weltweit immer wichtiger. Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler ein Patent für ihre Erfindung angemeldet.
Stuttgart - Röntgenmikroskope sind faszinierende bildgebende Werkzeuge. Auf einzigartige Weise kombinieren sie eine hohe Auflösung selbst im Nanometerbereich mit einer großen Tiefenwirkung bzw. hohem Kontrast. Zusätzlich ist die Röntgenmikroskopie (auf Englisch X-ray microscopy or XRM) die einzige Technik, bei der man verborgene Merkmale eines Objekts mit hoher Auflösung untersuchen kann – sozusagen ein 3D-Einblick ohne Schneiden, Zerteilen oder gar Zerstören. Mit XRM kann man beispielsweise einen defekten Prozessor eines Computers untersuchen, Mikrometer kleine Maschinen bei ihrer Arbeit beobachten oder Zellorganellen in ihrer natürlichen Umgebung studieren.
Die Fokussierung von Röntgenstrahlen ist jedoch keine leichte Aufgabe und erfordert Optiken mit extrem herausfordernden Geometrien. Aufgrund des komplexen Fertigungsverfahrens nur wenige Nanometer groß kann eine einzelne Linse bis zu mehrere zehntausend Euro kosten.
Wissenschaftler der Abteilung für Physische Intelligenz sowie der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben nun eine neue und kostengünstigere Methode zur Herstellung von dreidimensionalen Kinoformen entwickelt – eine Art Sammellinse, die in der Lage ist, Röntgenstrahlung effizient zu fokussieren, um Nanomaterialien sichtbar machen zu können. Sie haben diese sogenannte diffraktive Röntgenoptik im 3D-Nanoprintverfahren gedruckt. „Wir haben einen gepulsten Femtosekunden-Infrarot-Laser und einen Fotolack verwendet, der durch die gleichzeitige Absorption mehrerer Infrarot-Photonen polymerisieren kann, um Strukturen zu schreiben, die kleiner als die Wellenlänge des Lichts sind", erklärt Umut T. Sanli. Er ist Doktorand in der Forschungsgruppe Mikro/Nano-Optik, die Teil der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme unter der Leitung von Gisela Schütz ist. Sanli ist Hauptautor einer Studie mit dem Titel „3D Nanoprint Plastic Kinoform X-Ray Optics", die vor kurzem im Fachmagazin Advanced Materials veröffentlicht wurde. „Auf diese Weise haben wir ein extrem herausforderndes Verfahren zur Herstellung von Röntgenlinsen mit Nanometer kleinen Merkmalen und exzellenten Fokussiermöglichkeiten entwickelt", fügt er hinzu.
Die Röntgenlinsen von XRMs müssen in der Regel jedes Jahr, wenn nicht sogar öfter, aufgrund von Strahlenschäden ausgetauscht werden. Es gibt auch Experimente, die eine Vielzahl von Linsen benötigen, um die extrem hellen Röntgenblitze der neu entwickelten Freie-Elektronen-Laser (FEL) fokussieren zu können. Eine Linse wird in der Regel in einem einzigen Impuls vernichtet. Daher sind Massenfertigung und ertragreiche Fertigungsprozesse weltweit begehrt. „Die Auswahl der richtigen Materialien ist ein entscheidender Teil des Herstellungsprozesses", erklärt Kahraman Keskinbora, der die Mikro/Nano-Optik-Gruppe leitet. Er und sein Team wählten ein Zwei-Photonen-Polymerisations (2PP)-Verfahren, um die Röntgenlinsen herzustellen. „Dabei stellten wir fest, dass die 2PP-Polymere über extrem günstige röntgenoptische Eigenschaften verfügen, die nur mit Beryllium – einem hochgiftigen Element – und Diamant – einem sehr teuren Material – erreicht werden können." Außerdem sind Beryllium und Diamant beide nur sehr schwer in die erforderlichen 3D-Profile im Nanobereich zu formen. „Mit der neuen Erfindung dauert der Druck einer Linse weniger als eine Minute und somit werden die Kosten für die Prototypenentwicklung und anschließende Herstellung von Röntgenlinsen stark gesenkt. Darüber hinaus sind die Polymerlinsen sicher herzustellen und nach der Optimierung ist die Fertigung unkompliziert", betont Hakan Ceylan, Postdoktorand in der Abteilung für Physische Intelligenz, die von Metin Sitti geleitet wird.
"Wir sind einen Schritt weiter gegangen, indem wir mehrere der Objektive in Reihe geschaltet haben. Durch die Integration verschiedener Optiken können wir die Wellenfronten der Röntgenstrahlung effektiv steuern und manipulieren. Mit mehreren hintereinander positionierten Objektiven und anderen Wellenfrontformungselementen können wir diese integrierte Röntgenoptik auch für den sehr harten Röntgenenergiesektor optimieren", prognostiziert Keskinbora. "Es werden also viele neue Forschungsprojekte folgen."
Die Forscher haben ihre Erfindung mit Hilfe der Max-Planck-Innovation zum Patent angemeldet. Sie berät und unterstützt Wissenschaftler bei der Bewertung ihrer Erfindungen und der Einreichung von Patenten und vermittelt den Transfer von Erfindungen von den Max-Planck-Instituten an die Industrie.
Die vollständige wissenschaftliche Arbeit finden Sie hier: https://doi.org/10.1002/adma.201802503
"3D Nanoprinted Plastic Kinoform X-Ray Optics" by U. T. Sanli, H. Ceylan, I. Bykova, M. Weigand, M. Sitti, G. Schütz, K. Keskinbora, Advanced Materials 2018, 1802503.
Umut T. Sanli erhielt seinen Bachelor in Materialwissenschaften und Ingenieurwesen von der Anadolu Universität in der Türkei und einen Master-Abschluss in Materialwissenschaften von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er ist derzeit Doktorand am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und arbeitet mit Dr. Kahraman Keskinbora, Leiter der Mikro/Nano-Optik-Gruppe, sowie Prof. Gisela Schütz, Direktorin der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme am MPI-IS, zusammen. Seine Doktorarbeit konzentriert sich auf die Entwicklung von Röntgenoptiken mit innovativen Ansätzen für die Weiterentwicklung der Röntgenmikroskopie. Er befasst sich mit Nano-Engineering und Charakterisierungstechniken, einschließlich Atomschichtabscheidung, fokussierter Ionenstrahllithographie, Multi-Photonen-Lithographie, Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen und Röntgenstrahlen.
Dr. Hakan Ceylan erwarb 2010 seinen Bachelor-Abschluss in Molekularbiologie an der Bilkent Universität in Ankara in der Türkei. Im Jahr 2014 promovierte er am Nanotechnologie-Forschungszentrum der Bilkent Universität mit einem Doktortitel in Materialwissenschaften. Seitdem ist er Senior Postdoctoral Researcher am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Seit 2015 ist Dr. Ceylan auch Associate Fellow am Max Planck ETH Center for Learning Systems.
Dr. Ceylans Forschungsschwerpunkt liegt auf neuartigen Materialien, Designs und Fertigungsstrategien, die Sensorik, Ansteuerung und Kommunikation auf mikroskopischen Längenskalen koppeln; mit der Vision, innovative und leistungsstarke Aktuatoren, Roboter und schwammähnliche Systeme zu entwickeln, die eine programmierte Intelligenz für biomedizinische Anwendungen aufweisen.
Dr. Kahraman Keskinbora hat einen Bachelor-Abschluss in Materialwissenschaften und Ingenieurwesen der Anadolu Universität in der Türkei. Nach Abschluss seiner Magisterarbeit an der gleichen Universität wurde er 2011 an der International Max Planck Research School on Advanced Materials aufgenommen und wechselte für seine Doktorarbeit an das Max-Planck-Institut für intelligente Systeme (ehemals MPI für Metallforschung). Hier arbeitete er zusammen mit Prof. Gisela Schütz an der Entwicklung neuer Nano-Fertigungsansätze für neuartige Röntgenfokussierungsoptiken. Keskinbora schloss seine Promotion im Juli 2015 mit Auszeichnung ab und leitet seither die Mikro/Nano-Optik-Gruppe, die Teil der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme ist. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung von Werkstoffen, Lithographieprozessen sowie innovative Arten der Röntgenoptik, vor allem durch den Einsatz von Ionenstrahl-Lithographie und Mikro-/Nanomaschinellem Arbeiten.
Professor Dr. Gisela Schütz ist Direktorin der Abteilung für Moderne Magnetische Systeme am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Anwendung der Synchrotronstrahlung in der Röntgenspektroskopie und Mikroskopie sowie der Entwicklung fortschrittlicher spintronischer/magnonischer Systeme und neuer Supermagnete.
Schütz wurde 1955 in Ottobeuren im süddeutschen Raum geboren. Sie studierte bis 1979 Physik an der Technischen Universität München (TUM) und promovierte 1984 am Lehrstuhl für Kernphysik der Technischen Universität München. Dort begann sie auf dem Gebiet der kondensierten Materie mit Synchrotronstrahlung zu forschen. Sie arbeitete in mehreren Synchrotronlabors und entwickelte neue Methoden zur Erforschung magnetischer Strukturen und Phänomene mit polarisiertem Röntgenlicht. Nach dem Lehramt an der Universität Augsburg im Jahr 1992 für Experimentalphysik wurde sie 1993 Professorin und 1997 Inhaberin eines Lehrstuhls am Institut für Experimentalphysik der Universität Würzburg. Im Jahr 2001 wurde Schütz Direktorin des Max-Planck-Instituts für Metallforschung, das 2011 in Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme umbenannt wurde.
Dr. Metin Sitti ist Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Sitti erhielt 1992 und 1994 seinen BSc und MSc in Elektrotechnik von der bogazici Universität in Istanbul und 1999 seinen Doktortitel in Elektrotechnik von der Universität Tokio. In den Jahren 1999 und 2002 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of California in Berkeley. In den Jahren 2002-2016 war er Professor im Department of Mechanical Engineering and Robotics Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Seit 2014 ist er einer der Direktoren am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.
Sitti und sein Team wollen die Prinzipien von Design, Fortbewegung, Wahrnehmung, Lernen und Steuerung von kleinen mobilen Robotern aus intelligenten und weichen Materialien verstehen. Die Intelligenz solcher Roboter beruht hauptsächlich auf ihrem physischen Design, ihrem Material, Anpassung und Selbstorganisation und nicht auf ihrer rechnerischen Intelligenz. Solche Methoden der physischen Intelligenz sind für kleine Milli- und Mikroroboter unentbehrlich, vor allem wegen ihrer inhärent eingeschränkten Rechen-, Antriebs-, Leistungs-, Wahrnehmungs- und Steuerungsmöglichkeit. Sittis Zukunftsvision ist, dass seine neuartigen Kleinrobotersysteme eines Tages im Gesundheitswesen, in der Biotechnologie, in der Produktion oder in der Umweltüberwachung eingesetzt werden könnten.