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Ein internationales Team von Wissenschaftlern beobachtet das Reptil, wie es über eine Wasseroberfläche rennt – eine Fähigkeit, die keine andere solch mittelgroße Kreatur besitzt. Wie, fragten sich die Wissenschaftler, schaffen es Geckos, so schnell auf dem Wasser zu laufen? Die Entdeckung der Mechanismen, die Geckos dabei einsetzen, katapultiert die Eidechse in die Kategorie der Superhelden.
Alles begann damit, dass Dr. Ardian Jusufi zuerst in seinem Labor, dann im Regenwald Südostasiens Aufnahmen von einem gewöhnlichen Hausgecko machte, der über Wasser läuft. Jusufi, der heute ein unabhängiger Cyber Valley Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart ist, trug 15 Kilogramm Forschungsgeräte in den Wald, darunter eine Hochgeschwindigkeitskamera, ein Stativ und Laptops, die er in einem Teich aufbaute, die Kabel an Bäumen befestigt, damit sie nicht im Wasser liegen. Er filmte, wie Geckos über Pfützen huschen, während sie sich vor Angreifern retten. Damals war Jusufi Doktorand an der University of California, Berkeley. Er entdeckte in demselben Gecko, dass er vertikal etwa so schnell klettern kann wie horizontal über Wasser laufen, und dass er, wenn er rückwärts fällt, sich durch Schwingen seines Schwanzes drehen kann.
Zurück an der Uni zeigte Jusufi seinen Kollegen das aufgenommene Filmmaterial der Reptilien, darunter Jasmine Nirody, heute Biophysikerin an der University of Oxford und der Rockefeller University, und Judy Jinn, die beide ebenfalls Doktoranden in Berkeley waren. Nirody war fasziniert von dem wasserlaufenden Gecko. Auch Robert Fulls Interesse war geweckt. Er ist Professor für integrative Biologie an der UC Berkeley. „Geckos können mit einem Meter pro Sekunde eine Wand hochlaufen, sie können gleiten, sie können sich mit einer Drehung des Schwanzes in der Luft aufrichten und sich im Laufen – mit voller Geschwindigkeit – schnell unter einem Blatt drehen. Und jetzt sehen wir, dass sie mit einem Meter pro Sekunde über Wasser laufen können. Kein anderes Lebewesen kann das. Geckos sind wahre Superhelden!", sagte Full.
Am Donnerstag veröffentlichte das Team "Geckos Race Across the Water's Surface Using Multiple Mechanisms" in der renommierten Fachzeitschrift Current Biology. Andere Co-Autoren des Papiers sind Thomas Libby und Timothy Lee von der UC Berkeley und David Hu von Georgia Tech. In ihrer Publikation beschreiben die Wissenschaftler mehrere Strategien, mit denen Geckos über die Wasseroberfläche huschen: Zu den Mechanismen gehören die Oberflächen zu schlagen, eine Wellenbewegung des Körpers und Schwanzes sowie die Oberflächenspannung zu nutzen.
Kleinere Tiere wie Insekten, z.B. Spinnen, Käfer oder Wasserläufer, sind leicht genug, sich mittels der Oberflächenspannung über Wasser zu halten. So können sie leicht über die Oberfläche gleiten. Größere Tiere, wie zum Flug ansetzende Schwäne oder Enten, Basilisken oder sogar Delfine, die sich auf ihren Schwanz stellen, schlagen schnell auf das Wasser, um sich oben zu halten oder abzuheben.
"Größere Tiere können keine Oberflächenspannung nutzen, also drücken und schlagen sie die Oberfläche, was eine ausreichende Kraft erzeugt, wenn sie es nur stark genug machen", sagte Full.
Der Gecko jedoch ist von mittlerer Größe: Mit etwa sechs Gramm, dem Gewicht eines Blatt Papiers, sind sie zu groß, um auf der Oberfläche schweben zu können; gleichzeitig aber zu leicht, um ihre Körper nur durch Schlagen über Wasser zu halten.
Geckos sind hier genau in der Mitte", sagte Nirody. „Sie können nicht genug Kraft erzeugen, um ohne Absinken auf der Oberfläche zu laufen. Also ist die Tatsache, dass sie über Wasser laufen können, wirklich überraschend."
Im Labor baute das Team einen langen Wassertank auf und setzte einen Gecko (Hemidactylus platyurus) auf eine Plattform daneben. Sie erschreckten ihn, indem die Forscher seinen Schwanz berührten. Er sprang ins Wasser und die Forscher filmten, wie er über das Wasser rannte. Mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeits-kamera konnten sie den Gecko genau studieren und die angewandten Kräfte abschätzen. Die Forscher entdeckten, dass Geckos mindestens zwei, vielleicht sogar vier verschiedene Strategien anwenden, um auf der Wasseroberfläche zu rennen.
Die Oberflächenspannung ist unerlässlich, fanden sie heraus. „In einem Experiment haben wir Seife in das Wasser des Aquariums gemischt“, erklärte Jusufi. „Die Eidechsen konnten danach nicht mehr über die Wasseroberfläche rennen, und zeigten Bewegungsabläufe, die eher charakteristisch sind für Schwimmen. Und sie bewegten sich nur noch mit halber Geschwindigkeit fort.“
Aber auch ohne Oberflächenspannung können sich Geckos genau wie größere Tiere durch Schlagen des Wassers, durch Paddelbewegungen ihrer vier Beine bewegen. Die Beinschläge erzeugen Luftkissen unter den Füßen, die dazu beitragen, dass ihre Körper nicht vollständig untertauchen. So können Geckos über das Wasser flitzen, so wie sie es an Land tun.
Zusätzlich scheinen die Reptilien auch ihre glatte, wasserabweisende (superhydrophobe) Haut zu nutzen, um über die Oberfläche zu gleiten – ähnlich wie beim Aquaplaning. Man nennt das Semi-Planing, eine Technik, die z.B. von Bisamratten verwendet wird.
Schließlich benutzen Geckos auch ihren Schwanz, um das Wasser wie ein Alligator hin und her zu bewegen. Das schiebt sie nach vorne, gibt ihnen Auftrieb und stabilisiert.
„Alle Mechanismen sind auf bestimmte Art und Weise wichtig, und Geckos sind einzigartig in der Kombination all dieser Faktoren", sagte Full.
„Selbst wenn wir die umfangreiche Liste der Bewegungsmöglichkeiten kennen, die Geckos in ihrem Arsenal haben, waren wir immer noch sehr überrascht, mit welcher Geschwindigkeit sie über die Wasseroberfläche huschen können", sagte Nirody. „Die Art und Weise, wie sie mehrere Modalitäten kombinieren, um diese Leistung zu erbringen, ist wirklich bemerkenswert."
„Bei unserer Forschung geht es uns vor allem darum, den Bewegungsapparat in Tieren zu verstehen“, sagt Jusufi. „Während wir die einzigartigen Manöver und Strategien beobachten, die Geckos einsetzen, ist es auch unser Ziel, die Erkenntnisse der Bionik und der morphologischen Intelligenz des Reptils zu nutzen, um das Design von Robotern zu verbessern. Aber das ist für uns nachrangig.“
Jusufi und seine Kollegen schauen sich ein Tier an, um zu verstehen, wie es sich tatsächlich bewegt. Dann versuchen sie, die Konstruktionsprinzipien zu extrahieren und dieses Wissen auf Roboter anzuwenden. „Allerdings kann ich nicht alles an dem Tier testen, was ich will; ich kann es ja nicht ändern. Also teste ich den Aufbau und die Struktur stattdessen an einem Roboter. Das erlaubt mir, neue Dinge über das Tier und seine Fortbewegung zu entdecken und die Frage zu beantworten, warum die Evolution bestimmte Designs gewählt hat.“ Ardian Jusufi gehört zu dieser neuen Generation an Pionieren, die die komplexen Bewegungen von Tieren verstehen wollen, indem sie entsprechende Roboter nachbauen, um wiederum Schlüsse zu ziehen auf das Tier.
Die Forschungsarbeit wurde von der National Science Foundation, der unabhängigen Behörde der Regierung der Vereinigten Staaten, sowie vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Die vollständige wissenschaftliche Publikation finden Sie hier .
https://doi.org/10.1016/j.cub.2018.10.064
Dr. Ardian Jusufi ist Leiter der Cyber Valley Forschungsgruppe "Locomotion in Biorobotics and Somatic Systems". Er ordnet seine Forschung sowohl dem Fachgebiet der Ingenieurswissenschaften als auch dem der Biologie zu. Er stellt biegsame Aktuatoren her und integriert diese mit weichen Sensoren aus hyperelastischen Silikonelastomeren, die flüssiges Metall enthalten. Durch deren Eingliederung werden neue Fähigkeiten bei Schwimm- sowie Kletterrobotern ermöglicht, um deren Fähigkeiten bei der Überwindung von Hindernissen zu steigern.
Der größte Unterschied zwischen biologischen Systemen und künstlich erschaffener Technologie liegt einerseits in der Robustheit, und andererseits in der Zähheit von Bauteilen, die in der Natur vorwiegend flexibel und dehnbar sind. Im Gegensatz zu konventionellen Robotern sei der Bewegungsapparat von Tieren in der Lage, mehrere dynamische Störungen in komplexem Terrain auszugleichen.
Bewegungsnatürliche Roboter werden auch für die Grundlagenforschung immer wichtiger, wo sie zu neuen Entdeckungen in der experimentellen Biologie führen können. In diesem Sinne kombiniert Jusufi vergleichende Bewegungswissenschaften mit experimenteller Robotik und Smart Materials.
Dr. Ardian Jusufi ist seit März 2018 Cyber Valley Forschungsgruppenleiter am Max- Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Er promovierte an der University of California in Berkeley, USA, bei Prof. Bob Full, wo er am CiBER Center an interdisziplinären Bewegungswissenschaften und bioinspirierter Robotik arbeitete. Nach seinem Abschluss ging er an die Cambridge University, UK, für eine Postdoc-Stelle am Queens' College. Jusufi wechselte dann an die Harvard University, USA, für eine zweite Postdoc-Stelle in Prof. Rob Woods Harvard Microrobotics Lab am Wyss Institute for Biologically-Inspired Engineering. Anschließend war er Assistant Professor an der University of Technology in Sydney, Australien.
http://ardianjusufi.com